Widersetzlichkeit oder Freiheitsdrang ?

Lahr in der Zeit der Französischen Revolution

 
Als sich im benachbarten Frankreich die Revolution nicht zuletzt durch das Verhalten des Königs radikalisierte, ging in Lahr der große Prozeß gegen die Landesherrschaft in sein zwanzigstes Jahr. Das Klima in der Stadt war durch die Auseinandersetzungen mit Nassau der adligen Stadtherrschaft gegenüber sehr reserviert, wenn auch nicht durchgängig feindlich. Diese Reserviertheit dürfte aber auch die französischen Emigranten getroffen haben, die Frankreich verlassen hatten, gerade weil sie ihre feudale Machtbasis nicht mit rechtsstaatlichen und freiheitlichen Prinzipien vertauschen wollten Prinzipien, die Lahr auf eher konservative Weise gerade gegen Nassau durchfocht. Daß also in Lahr eine gewisse Affinität zu den Ideen der Französischen Revolution bestand, liegt nahe. Übrigens wurden nicht nur in Lahr, sondern im gesamten deutschen Südwesten die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgegriffen.

Wann es genau zum Aufflackern von Freiheitsideen kam, ist nicht ohne weiteres festzustellen. Sicher ist, daß der Gedanke, die Landesherrschaft an eine Verfassung zu binden, die dem Bürger einen Raum der Rechtssicherheit einräumte, um so größer wurde, je größer einerseits das Konfliktpotential zwischen Stadt und Herrschaft, je größer andererseits die Notwendigkeit für die Landesherrschaft war, ,,unrentable“ Herrschaftsverhältnisse in Richtung auf eine modern organisierte Verwaltung zu reformieren. Genau in dieser Lage war wohl Nassau mit den über Südwestdeutschland verstreuten Teilen seines Fürstentums. Einen ,,aufgeklärten“ Absolutismus zu praktizieren, konnten sich wohl eher Preußen und Österreich leisten, deren Staatsgebilde bereits erheblich weiter durchorganisiert waren. Insofern steht also die Sympathie in Lahr für die Ideen der Französischen Revolution durchaus in der Kontinuität des Lahrer Prozesses.

Was in Lahr sicher mit Aufmerksamkeit verfolgt wurde, war neben der Einberufung der Generalstände (5. Mai 1789) die Errichtung einer revolutionären Stadtverwaltung in Paris (12. Juli 1789) endlich war man in Paris so weit wie in Lahr. Die Lahrer Bastille brauchte nicht gestürmt zu werden: Die Tiefburg war seit Jahrzehnten verfallen und seit 1757 in städtischem Besitz. Wichtiger war aber die Verkündung der Menschen und Bürgerrechte am 26. August 1789, was Frankreich wieder ein Stück weit der Lahrer Verfassungspraxis annäherte. Die französische Nation prozessierte nicht endlos, sie griff zu!

Mit der Zustimmung des Königs zur Ausarbeitung einer Verfassung begann die Emigration des französischen Adels, die Lahr insofern betraf, als sich in der Nachbarschaft der Stadt, in Ettenheim, Kardinal Rohan, der vertriebene Bischof von Straßburg, niederließ und mit Gleichgesinnten umgab. Die Auswanderungswelle stieg an, als nach der Kriegserklärung Frankreichs an Österreich (20. April 1792) die Pariser Massen die Tuilerien stürmten und das Königtum suspendiert wurde (10. August). Am 21. September schließlich, am Tag nach der Kanonade von Valmy, als sich die preußischen Interventionstruppen zurückziehen mußten, rief die französische Nationalversammlung die Republik aus.

Es kommen also in Lahr eine aufmerksame Beobachtung der Vorgänge im Nachbarland, eine mißtrauische bis feindselige Haltung der eigenen Landesherrschaft und eine Aversion gegen die emigrierenden französischen Adligen zusammen. In dieser Situation entstehen Gerüchte, Anschuldigungen, Übertreibungen, Bagatellisierungen, Hitzköpfigkeiten, die im Nachhinein nicht mehr klar voneinander zu trennen sind.

Aus einem Bericht, den Dr. Rothberger am 18. August 1792 an das Reichskammergericht schickte, gehen solche Gerüchte hervor es sind Anschuldigungen der nassauischen Regierung gegen die Stadt, die vielleicht nicht immer real, aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Rothberger ist allerdings der Sachwalter der städtischen Interessen am Reichskammergericht und insofern der Bürgerschaft nicht feindlich gesinnt. Aus dieser Position heraus versucht er zu vermitteln.

Er schreibt:

Die Bürgerschafft zu Lahr wird in den von der hohen Gegenseite überreichten suppliciis pro Mandato beschuldiget:

1. daß sich gefährliche und aufrührerische Auftritte in Lahr ereignet hätten,

2. daß durch Anfeuerung der französischen Nachbarschafft und lauten Beifall, welche die Strasburgische ZeitungsBlätter dergleichen strafbaren Excessen geben, der FreiheitsSchwindel der Lahrer Bürger bereits aufs höchste gestiegen seye,

3. daß sie sich alle verpönte Mißhandlungen gegen andere Reichsbürger erlaube,

4. daß sie das französische FreiheitsSignal: Es lebe die Nation, anstimme,

5. daß sie von Laternenpfählen spreche,

6. daß sie öffentlich und ohn gescheut erklärt und ausgerufen habe: Ihr Fürst habe ihnen nichts zu befehlen, sie seyen freie Bürger,

7. daß sie durch die Nachbarschafft mit Strasburg in Absicht auf Handlung und Verkehr, wie durch Verwandschafft genau verbunden seye, also die Grundsäze der Strasburger sehr leicht annehmen könne,

8. daß die Zügellosigkeit der letzteren für Unterthanen, welche vor anderen einen Vorzug zu haben glauben, und deren außerordentlicher Leichtsinn und auf brausende Hitze bekannt seye, desto geschwinder Einruck mache,

9. daß die Lahrer im Taumel der Freyheit auff persönliche Eigenschafften keine Rücksicht nehmen, indem sie im vorigen Dezember ihren eigenen Sachwalter in dem Wirthshause, wo er logirte, angegrifen, geschimpft und arretirt hätten,

10. daß dieser Eindruck bei den Lahrern deswegen in doppelten Anschlag kommen müße, weil sie das Glück gehabt, zu eben der Zeit, wo so viele teutsche Reichs Unterthanen in starker Gewalt von Reichs Oberhaupts wegen zum Gehorsam und Unterwürfigkeit gegen ihre Obrigkeit gezwungen wurden, gegen ihre Obrigkeit eine obsiegliche Urtel zu erhalten,

11. daß der in Gefolg dieser Urtel erwählte neue Stadt Rath sich in seinem Sinn einer französischen Municipalität an die Seite seze, daß er keine Schranken seiner Gewalt kenne, daß alles unterst zu oberst gekehrt worden seye, daß die redlichste und brauchbarste Stadtbediente abgeschaft und die unruhigste und ungeschickteste Leute an ihre Stelle gesetzt worden seyen, daß der Stadt Rath die hohe Herrschaftliche Gerechtsame angegrifen habe, daß er den Burgern die Entrichtung der allerältesten

Landes Abgaben verbotten habe, daß er Herrschaftlichen Bedienten ihren Abschied angedeutet habe, daß er alte von jeher beobachtete Herrschafthche Landesverordnungen aufgehoben und den Bürgern in neuen eigenmächtigen Stadtrathsverordnun gen das was in jenen verbotten war, erlaubt habe, daß er Gelegenheiten gegeben habe, wo der Beamte, um nicht sein Leben zu wagen, habe nachgeben müßen,

12. daß bei Gelegenheit der Durchreiße des Prinzen von Gonde Hoch fürstlicher Durchlaucht durch Din glin gen, ihnen eine Menge Lahrer Bürger zugerufen habe: Vive la Nation!

13. daß die Strasburgische Zeitungsschreiber solches in ihre Zeitungen eingerückt und dabei bemerkt hätten, die Lahrer seyen eben gute Patrioten!

14. daß der letzte Vorfall bey der anlassung einiger Deserteurs eine wirkliche Aufruhe seye, welche durch die 5. Unter Anlagen bescheiniget seye, und Hoch fürstliche Regierung zur Nachsuchung des Mandates genöthiget habe.

Rothberger widerlegt im folgenden jede einzelne dieser Anschuldigungen: es sei alles nicht wahr, die Bürgerschaft sei stets ihrer Herrschaft treu geblieben, habe in allen Äußerungen Mäßigkeit gezeigt und so weiter. Den Vorwurf, der Stadtrat habe sich einer französischen Municipalität an die Seite gesetzt, weist er sogar mit der Bemerkung zurück, daß er nicht einmal weiß, was eine Municipalität ist, viel weniger ihre Befugnisse kennt, und fährt fort: Man weiß nicht, worin er die Schranken seiner Gewalt mißkenne, da das Oberamt und der fürstliche Stadtamtmann gar sehr dafür besorgt sind, ihn täglich zu überzeugen, daß er gar keine Gewalt habe, indem sie gegen Urtel und Freiheitsbrief ihm alles entziehen.

Einzig einen Punkt läßt er gelten, aber es ist Ironie, wenn er weiter schreibt: eben so wenig ist erfindlich, daß das unterste zu oberst gekehrt seye, es müßte dann die Abschaffung des alten gegentheiligen Stadtraths darunter verstanden seyn, welcher freylich dem Oberamt angenehm war, weil er ein Instrument in dessen Hand zum Umsturz der wenigen noch übrigen Lahrischen Freiheiten gewesen...

Gravierend erscheint ihm der Vorwurf, daß der Beamte, um nicht sein Leben zu wagen, habe nachgeben müßen. Er streitet diesen Vorwurf rundherum ab und fordert den betreffenden Oberbeamten zum Beweis der Anschuldigung auf, indem es Land kundig ist, daß er olm geachtet eines mehr an den Dispotismus grenzenden Verfahrens gegen die Bürger zu Lahr gl ei chwohl imm er zwar von ni emand geliebt, doch von jedem so verehrt worden ist...

Daß die Lahrer von Laternenpfählen sprachen, geht übrigens auf ein Revolutionslied zurück, das Ah, ça ira, ça ira, ça ira, les aristocrats al la lanterne! lautete. Es dürfte in Lahr wohl bekannt gewesen sein, und der ,,Schlachtruf“ ça ira wurde dann später zum Fasnachtsruf Seira seira seirassa, Knackwurscht isch kei Servela! Es scheint also nicht ganz abwegig, wenn man vom verdeckt revolutionären Charakter der Fasnacht spricht.

Ausführlich geht Rothberger dann auf den Vorfall mit den Deserteuren des Rohan‘schen Regiments aus Ettenheim ein. Hier waren im Februar 1792 zehn Deserteure in Lahr angekommen, die einige Tage darauf von einem Offizier des Regiments beim Oberamt reklamiert wurden. Das Oberamt lehnte eine Auslieferung ab, woraufhin die Deserteure ihre Waffen freiwillig ablieferten. Streitpunkt aber war die Uniform das Oberamt sah die Tatsache, daß die Männer ihre Uniform behalten wollten, als Diebstahl an und ließ ihnen den 21n Febr. in der grimmigsten Kälte die Monturen ausziehen, so daß sie in bloßem Hemde auf der Straße einhergehen mußten.

Das nun brachte die Lahrer Bürger in Rage. Ein großer Theil vom Pöbel versammelte sich vor dem Hirsch, in welchem sich die Deserteurs befanden und begann einen solchen Lärm und Tumult, ... desgleichen in Lahr noch nicht existiert habe. Die 2 Officiers seyen auf die entsetzlichste Weise gescholten und mißhandelt worden. Es seye beständig geschrien worde, Vive la Nation! an die Laternen mit den Aristokraten. Auch seye das bekannte Freyheitslied und ça ira angestimmt worden. So weit die Vorwürfe des Oberamts. Rothberger selbst kommentierte, es habe gegen die grundsätzlichsten Gebote der Menschlichkeit verstoßen, den Männern die Kleidung zu nehmen, was bedeutet, daß der Aufruhr der Lahrer sich nicht gegen die Auslieferung der Deserteure richtete (die übrigens freiwillig wieder zurück wollten), sondern gegen die vermeintliche Unbill mit den Uniformen. Diese aber ging, was die Lahrer wahrscheinlich nicht wußten, auf das Oberamt zurück.

Was bleibt von alledem?

Die Unruhe in der Bürgerschaft war ebenso groß wie die Aversion gegen Fürst und Oberamt. Eine Sympathie für die Ideen der Französischen Revolution war sicher vorhanden, brach aber kaum auf so breiter Ebene aus, wie es die nassauische Regierung behauptete. Die Sympathie in Lahr dürfte sich kaum zu einem so offenen Aufruhr ausgewachsen haben, wie ihn die Regierung sah ihr saß die Angst vor der ,,französischen Pest“ im Nacken. Die Sympathie in Lahr für die Revolution dürfte sich abgekühlt haben, wie auch andernorts in Deutschland, als Ludwig XVI. unter der Guillotine starb und österreichische Truppen das Land am Oberrhein wieder unter ihre Stiefel nahmen. Und diese Truppen benahmen sich nicht unbedingt wie Verbündete.

weiter:

Lahr unter französischer Besetzung


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