Widersetzlichkeit oder Freiheitsdrang ?

Lahr in der Zeit der Französischen Revolution

 

Der Traum von Freiheit Lahr unter französischer Besetzung

Nachdem sich dergestalt in der ersten Hälfte des Jahrzehnts Gerüchte, Anschuldigungen und Dementis jagten, kam für die Lahrer im Juni 1796 die große Stunde. Der Traum von der Freiheit war zum Greifen nah, auch wenn die Lahrer die Zeichen der Zeit verkannten.

Es beginnt damit, daß die französische Armee zum Marsch auf Wien rüstet, um Österreich niederzuringen. Napoleon Bonaparte entscheidet den Krieg auf dem italienischen Kriegsschauplatz, während die Generäle Jourdan und Moreau im Norden und Süden nach Deutschland einmarschieren. Am 24. Juni überquert Moreau den Rhein, Kehl fällt als erstes. Das Condeische Corps unter österreichischer Fahne rückt in Lahr, Mahlberg und den ritterschaftlichen Orten ein und haust dort ,,wie die Wilden“. Auf energisches Drängen der Stadt Lahr genehmigt Prinz Condé eine Sauve garde von acht Chevaliers de Ja Gouronne für die Stadt, um die schlimmsten Exzesse zu verhüten. In derselben Nacht noch rückt das Corps wieder ab, gegen vier Uhr morgens zieht die Arriere garde durch Lahr Plünderungen durch sie können durch eine Bürgertruppe von 300 Mann, die durch die Stadt patrouilliert, verhindert werden. Das waren nicht die Feinde, das waren Verbündete!

Um neun Uhr morgens reiten Husaren vom 7. französischen Regiment in die Stadt ein und werden vor dem Rathaus von einer Delegation der Stadt empfangen. Freundliche Begrüßung, Erstaunen über den Empfang, nichts weiter. Gegen Abend rücken weitere 1.000 Mann in Lahr ein, es gibt Essen und Trinken, die Lahrer bewundern die gute Ordnung und die Disziplin der Truppen. Das sind jetzt die Feinde! Ausschreitungen kommen keine vor, geplündert wird nicht. Fast nicht: der Weinkeller des Abts von Schuttern wird aufgebrochen und geleert daß dann im Suff einer über die Stränge haut, können die Lahrer verstehen.

Einige Tage später kommt Divisionsgeneral Ferino in die Stadt. Die Brüder Lotzbeck bitten (!) ihn, bei ihnen Quartier zu nehmen kein Wunder, sie haben Großes mit ihm vor. Auch der Stadtrat Deimling geht einige Male heimlich ins französische Hauptquartier, ohne das Oberamt zu unterrichten. Bemerkenswerterweise werden übrigens nur die Dörfer in der Umgegend, Dinglingen, Mietersheim, Hugsweier, geplündert Lahr nicht.

An einem der nächsten Tage gibt General Ferino bekannt, wie er nicht zweierlei Obrigkeiten zu Lahr, noch eine Unterordnung der Stadt Municipalität unter das Oberamt gestatten könne... Die Katze ist aus dem Sack, die Lahrer Stadtväter wissen jetzt offenbar, was eine Municipalität ist. Oberamtsassessor Bausch schreibt wenig später über dieses offenbare Einverständnis Ferinos mit dem Lahrer Stadtrat: Soviel ist einmal ganz gewiß und richtig, daß der Stadt Rat, wann er es erwirken könnte, alles aufbieten würde, um die bißherige Verfaßung ganz zu verändern, von der Verbindung mit dem Oberamt sich loszureißen, unabhängig zu machen und gleichsam eine Republik zu formieren. Republik war für Bausch wohl ein Schimpfwort, eine Republik war Lahr seit 1278. Aber weiter: Auch vermuthe ich aus mehreren Umständen, daß der Stadt Rath es versucht habe, für die Stadt insbesondere eine Gonvention mit der Generalität zu schließen, um seine Independenz unter dem französischen Schutz wenigstens so lange zu behalten, als die Franzosen diese Gegend besetzt haben.

Als der Waffenstillstand mit Nassau bekannt wird, zeigt Christian Lotzbeck deutliche Verlegenheit und äußert: wie er glaube, daß die Stadt Lahr bessere Bedingnisse erhalten würde, wenn man dieses Geschäft ihr selbst überließe. Dieser Waffenstillstand offenbart die Illusion, der sich die Stadtväter und die Lotzbecks insbesondere hingegeben haben. Als der ,,offizielle“ Vertreter der Französischen Republik, Regierungskommissar Hausmann, in Lahr eintrifft, läßt er verkünden, daß alle Personen, Gebräuche, und das Eigentum unverletzt bleiben sollen, was nichts anderes heißt, als daß, wie Bausch schreibt, die alte Gerichts und Landesverfassung intakt bleibt. In diesem Sinn äußert sich Hausmann am 10. Juli auch gegenüber dem Bürger Bacher, der ihm zur Disziplin der französischen Truppen gratuliert.

Der Waffenstillstand, den Frankreich mit Nassau schloß, legte fest, daß das Amt mit einer bestimmten Contribution würde belegt werden, wogegen alle Verwaltungen, besonders auch die der herrschaftlichen Gefälle, in ihrer Verfassung blieben. Dahinter steckt und das war der Irrtum der Lotzbecks und der übrigen Stadtväter —, daß Frankreich nicht mehr einen Krieg führte, um weitere Departements für die revolutionäre Republik zu gewinnen, sondern um im Verlauf des Krieges gegen Österreich durch Kontributionen und Ausplünderungen die maroden Staatsfinanzen zu verbessern. Folglich wurde auch keine Zivilverwaltung errichtet, sondern nur ein Directeur des Revenues, ein Direktor der Einkünfte, in den pays conquis sur la rive droite du Rhin, den eroberten rechtsrheinischen Ländern, ernannt. Hausmann selbst war Agent de la Republique Française pour la baillage de Lahr, Agent der Republik für die Herrschaft Lahr. Lediglich Napoleon Bonaparte setzte sich über die Anweisungen des Direktoriums in Paris hinweg und erklärte norditalienische Territorien zur Cispadanen Republik.

Am 16. Juli 1796 war die Besetzung Lahrs zu Ende, der Traum von der Freiheit ausgeträumt, die nassauische Verwaltung begann, den Scherbenhaufen zusammenzu­kehren. Sämtliche herrschaftlichen Einkünfte waren für die Republik konfisziert, der Schaden wurde für die Herrschaft Nassau selbst auf 17.490 fl., für die Stadt Lahr auf 40.000 fl. und für die gesamte Herrschaft auf 125.877 fl. beziffert. Wenn man berück­sichtigt, daß in Lahr fast nicht geplündert wurde, scheinen die Stadtväter schnell sämtliche Einquartierungskosten zur Schadenssumme hinzugerechnet zu haben. Was die Lahrer allerdings hart drückte, war, daß täglich 200 Leute zum Schanzen nach Kehl, dem französischen Brückenkopf, geschickt werden mußten.

Die Diskussion der folgenden Monate ging um die Kriegskontribution, zu der sich Nassau verpflichtet hatte. Sie zog sich allerdings so lang hin, bis die Franzosen nicht nur ihre Truppen unter dem Gegenangriff des österreichischen Erzherzogs Karl, der am 10. Oktober sein Hauptquartier in Offenburg aufschlug, wieder über den Rhein zurückführen, sondern auch Anfang Januar 1797 die Brückenköpfe Kehl und Hüningen aufgeben mußten. Am 1. November 1796 war die französische Forderung nach Kontributionszahlung vom Tisch, Nassau allerdings zog gleich nach und verlangte seinerseits jetzt einen Kriegskostenbeitrag, der die französische Forderung eher noch übertraf.

Das weitere Verhältnis Lahrs zu Nassau ist in den letzten sechs Jahren von keinen gravierenden Ausbrüchen mehr gekennzeichnet. Nassau dürfte sich auf Ausgleichsverhandlungen um den Ersatz für seine linksrheinischen Verluste eingestellt haben, wie sie Grundlage des 1797 in Rastatt zusammentretenden Friedenskongresses waren, während sich die Lahrer möglicherweise schon an den Gedanken gewöhnten, eines Tages in einem größeren Flächenstaat aufzugehen, als der sich wohl Baden anbot.


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