Das Reisetagebuch meiner Großmutter

12. Juni - 3. Juli 1954 Nach Lahr

2. Tag: Alsfeld - Lahr

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Bei der Ausfahrt aus Alsfeld hatten wir uns etwas verfahren, weil das Autobahnschild unklar angemacht war. Aber wir merkten gleich die unbekannte Strasse u. waren bald wieder auf der Autobahn. Der Regen hatte aufgehört,aber finstere Wolken kamen und gingen. Die Landschaft bleibt weiterhin sehr reizvoll durch weite Wälder u. Wiesen. Sanfte Hügel, rechts das Knüllgebirge, links dann der Vogelsberg. Die Ausfahrten Giessen u. Nauheim kommen. Immer wieder Erinnerungen! Zur rechten Hand wird ein notgelandetes Flugzeug geborgen. Mehrere Hubschrauber beobachten wir. Ganz in der Ferne taucht der Taunus auf. Am Strassenrand bemüht sich ein ADAC-Streifendienst um einen Kradfahrer mit Panne. Was es hier nicht alles gibt! Die Wolkenwand über den Taunus wälzt sich heran u. auf der Höhe von Homburg bekommen wir einen ordentlichen Guss ab. Das bestärkt unsere Absicht,hier nicht herunter zu fahren u. in Oberursel Besuch zu machen.Wir winken aus der Ferne! In Kriftel hatten wir uns ja zum Mittagessen eingeladen u. die war schon überschritten durch den späten Aufbruch in Alsfeld. Der Verkehr nimmt sehr zu. Wir fahren am Feldberg vorüber u. links taucht die Silhouette von Frankfurt auf. Man erkennt deutlich den Dom u. das neue Fernmeldeamt. Der Regen hat aufgehört u. wir verlassen die Autobahn bei der ersten Frankfurter Ausfahrt. Wir sind auf der Schnellstrasse nach Wiesbaden mit unerhörtem Verkehr. Wir müssen bis an das grosse Rondell reinfahren um in die Richtung nach Kriftel zu kommen, denn auf solchen Straßen kann man ja nicht lenken. Lange müssen wir warten auf die Einfahrt nach Kriftel u. verlassen doch zu zeitig in Richtung Hofheim die Strasse. Aber nach einigen kleinen Umwegen stehen wir doch gegen 1 Uhr vor Pabels Haus!

Natürlich auch hier grosse Freude,dass wir es geschafft haben. Erzählen/Mittagessen und schneller Kaffee in der Küche, weil das Wohnzimmer für alle zu klein ist. Ein grosses Kuchenpaket wird uns noch mitgegeben, die Familie fotografiert und ½ 4 rollen wir davon. Zum Glück hat der Kantor am Nachmittag ein Konzert, denn sonst wären wir nicht so leicht weggekommen! Wieder hinein in den Verkehr der Schnellstraße. Am Rondell konnten wir unser Telegramm für Dorle aufgeben. Die große Umleitung,von der Pabel gesprochen hatte, führte uns durch ganz Höchst u. es wurde nach 4 Uhr, als wir endlich auf der Autobahn wieder in Sicherheit waren. Längst schien die Sonne u. behaglich rollten wir durch den Frankfurter Stadtwald. Unsere Mission war erfüllt, denn hinter uns lag der von Pabel geschenkte Autoreifen! Am Rhein-Mainflughafen war grosser Betrieb u. viele Wagen hielten am Rande. Auch Peter stieg einmal hinauf zum Zaun, denn es waren viele Flugzeuge in der Luft oder startbereit. Jetzt waren die Berge zurückgetreten, links in der Ferne der Odenwald u. die Bergstrasse. Wir fuhren auf dem ältesten Stück Autobahn,wo früher immer Autorennen stattfanden. Auch, musste an irgend einer Brücke, unter welcher wir durchfuhren die Gedenktafel für Bernd Rosemeyer sein, der bei einem Rennen hier verunglückt ist. In ununterbrochener Folge brausen die modernen Wagen an uns vorüber. Alle Nationen und Wagentypen sind vertreten und man sieht keinen so alten Knaben wie den unseren. Keiner aus der Ostzone ist uns begegnet! An der Strasse sind grosse Parkplätze von amerikanischen Wagen aller Arten (Es sieht aus wie damals im Kriege) natürlich sind es nur neueste Modelle. Oft kommen Tankstellen nur für amerikanische Wagen. Bei Karlsruhe ist die Autobahn zu Ende. Vorher sehen wir in der Ferne Heidelberg und erkennen deutlich das Schloss und den Königstuhl. An einer Brücke steht "Der Neckar". Die Straße bleibt zwar auch ausserhalb der Autobahn gut, aber wir kommen nun durch Ortschaften, wo der dichte Verkehr durch die Strassenkreuzungen fühlbarer wird. Auch Unmenge Radfahrer erscheinen im Strassenbild.

An der Beschriftung der Schilder merken wir,dass wir in französisches Besatzungsgebiet übergewechselt sind. Durch das Fahren auf freier Strasse nehmen auch die Soldaten im Strassenbild zu. Hin u. wieder einmal ein Schwarzer. Schöne Läden in den Ortschaften, grosse Tankstellen mit viel Neonlichtreklame. In Appenweier rechts Abzweigung nach Kehl-Strassbourgh. Es erscheint erstmalig ein Strassenschild Lahr 42 km. Ich beginne etwas unruhig zu werden, denn es geht auf 9 Uhr zu und Dorle wird schon längst Ausschau halten. Hoffentlich hält der brave Wagen die letzten Kilometer brav aus. Nach einem kurzen Picknick hinter Mannheim haben wir keine Rast gemacht, denn wir wollen doch gern vor der Dunkelheit da sein. Ab Offenburg ist eine wunderbare Strasse. Ein großer Cirkus steckt gerade seine Illumination an, auch alle Tankstellen erstrahlen in ihrer reichen Reklame! Die Kirchtürme und grossen Schornsteine der nächsten Ortschaften bekommen rote Lichter, denn wir nähern uns dem Grussen Düsenjäger-Flugplatz in Hugsweier! Endlich 21 Uhr kommt das Schild Lahr-Dinglingen! In mir ist es ganz still geworden, dass das Wunder nun geschehen ist. Nun langsam durch die letzten Strassen, an der Lichtreklame moderner Läden vorüber rollen wir in die Goethestrasse ein. Da ruft es Hallo und klatscht in die Hände! Erwin ist uns ein wenig entgegengegangen! 21,15 Uhr biegen wir in die Bismarckstrasse ein und hupen. Dorly schaut zum Fenster heraus,erkennt den durch die Scheinwerfer geblendeten Wagen, als wir anhalten und mit den Tüchern winken!

Die Kinder kommen fast gleichzeitig mit Dorly auf die Strasse in ihren Schlafanzügen. Jubelnde Begrüssung. Unser kleiner Sonnenschein von damals Pepi nun ein grosser Junge erwidert etwas scheu die zärtliche Umarmung der Ami. Sie ist ihm doch in 7 langen Jahren arg fremd geworden und er hat ja in Lahr noch eine Oma! Der kleine Christoph schlingt seine Ärmchen zutraulich um meinen Hals. Dorly selbst freudig aber ohne Sentimentalität ist zunächst froh, dass wir ohne Panne da sind. Durch den kleinen Wirtschaftseingang gehen wir über die Terrasse ins Wohnzimmer. Mein erster Blick ins Wohnzimmer fällt auf die schöne Uhr mit den Messinggewichten, die Vater damals noch einkaufen konnte - die lange geborgt (nach den Bomben)in Gohlis hing - die wir mühsam als eines der ersten Wirtschaftsteile in 2 Paketeten nach Lahr schicken konnten. Blitzartig zieht all das vor mir vorüber, bis wir im Wohnzimmer sitzen. Auch hier trotz Wiedersehensfreude das schmerzliche Gedenken an den armen Vater! Koffer und Taschen werden raufgebracht - ich fühle mich trotz allem freudigen Betrieb wie Besuch. Christoph fragt, als er die Koffer sieht: Hast Du uns was mitgebracht? Die energische Mutti sagt: morgen wird ausgepackt,jetzt erst marsch ins Bett. Beide gehen ohne Widerrede ab. Trotzdem packe ich noch unten aus, um vor allem in Erwins Beisein die 4 neuen Bezüge /8 Kissen und 6 Handtücher, fertig genäht und gestickt an Dorly auszuliefern. Sie ist nicht gerade übermässig gerührt, Erwin bekommt ein Paar neue Manschettenknöpfe mit Email (Ottos Nachlass), Dorle noch ein silbernes Halskettchen mit Email, auch neu (von None). Kinderspiele werden aufs Büfett gelegt und wir bekommen Abendessen und es wird mit Edenkobner aus unsre gelungene Reise angestossen. Nach einer halben Stunde allgemeiner Unterhaltung hupt es draussen und die Kippenheimer kommen aus dem Kino noch zur Stippvisite vorüber. Wann sind denn Deine Leut gekommen, fragt die Schwägerin? Sie haben natürlich vor dem Hause unseren Pfundswagen schon bewundert - weniger den Wagen, als das Kunststück, sich für 750 km. weite Fahrt ihm anzuvertrauen. Ihr nagelneuer für 9500.- Westmark nahm sich wunderlich genug neben dem Veteran aus. Später wurden wir zu Bett gebracht im Kinderzimmer u. waren froh, als wir nach den zwei anstrengenden Tagen zur Ruhe kamen!

Kmst. in Leipzig 14788

Kmst. in Lahr 15567

779 km Leipzig - Lahr

Benzinverbrauch ca. 65 ltr. Peter war sehr zufrieden und unsere Ehre und die des braven Opel war gerettet, komme was noch wolle!

Ausschlafen gab es nicht direkt am anderen Morgen, denn ab ca. 5 Uhr früh setzt dort ein ununterbrochener Verkehr ein, vor allem Motorräder. Man liegt nur noch in einem Halbschlaf.



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