[1][2]

Zur Frage von Schuld und Verantwortung

zurück:
Geschichtsseite - Übersicht

Karl Jaspers' vier Schuldbegriffe (1946)

In seiner 1946 erschienenen Schrift "Die Schuldfrage" setzte sich der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers ausführlich mit der Frage von Schuld und Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus auseinander. Er stellte in diesem Zusammenhang vier Kategorien der Schuld auf:

- die kriminelle Schuld aufgrund objektiv nachweisbarer Gesetzesverstöße,

- die politische Schuld durch Handlungen der Staatsmänner, an denen der Einzelne durch seine Staatsbürgerschaft und durch seine Mitverantwortung, wie er regiert wird, beteiligt ist,

- die moralische Schuld durch Handlungen, deren Charakter nicht allein dadurch nicht verbrecherisch wird, daß sie befohlen sind,

- die metaphysische Schuld aus der Mitverantwortung für alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit in der Welt (Wenn ich nicht tue, was ich kann, um es zu verhindern, so bin ich mitschuldig.).

Die Instanzen zur Klärung der einzelnen Kategorien der Schuld sind

das Gericht (im formellen Verfahren) zur ersten Kategorie,

zur zweiten die Gewalt und der Wille des Siegers (wenn das Regime im Krieg unterlegen ist),

zur dritten das eigene Gewissen und schließlich

Gott allein zur vierten Kategorie.

Jaspers verband seine Schematik der Unterscheidungen mit dem Ziel, daß sie bewahren sollten vor der Flachheit des Schuldgeredes, in dem alles stufenlos auf eine Ebene gezogen wird, um es im groben Zufassen in der Weise eines schlechten Richters zu beurteilen.

Ein Volk könne nie als Ganzes angeklagt werden, da Verbrecher immer nur der Einzelne sei.

Ein Volk könne aber auch nie als Ganzes moralische Schuld tragen, da es keine allgemein verbindende Moral oder Unmoral eines ganzen Volkes gebe.


Faßt man Jaspers' Gedankengänge zusammen, so ergibt sich der Schluß, daß es - außer bei klar feststellbaren Verbrechen, sei es gegen geltendes Recht, sei es gegen übergeordnete Normen des Menschen- oder Völkerrechts - keine "Schuld" und keine "Anklage" geben kann, sondern nur die Verantwortlichkeit aus der Tiefe des eigenen Gewissens heraus.

Weil ich mich nicht entbrechen kann, in tiefster Seele kollektiv zu fühlen.

Diese Verantwortlichkeit aber muß in der Zukunft wirken und sie verjährt nicht, heute nicht und nicht in hundert Jahren. So kann es aber auch nicht angehen, Verbrechen der SS, der Gestapo oder der Wehrmacht, auch Verbrechen "des Nationalsozialismus" allgemein (waren es doch immer einzelne Menschen, die sie begangen haben) mit Verbrechen anderer Völker, anderer Staaten oder anderer Zeiten aufzurechnen, da wir uns dann zum Richter über die moralische Schuld anderer aufspielten.


Ende der Sequenz
Zurück zur Übersicht

Copyright für alle Arbeitsblätter: Dr. Ch. Bühler, 1998